Warum Wolken nicht

vom Himmel fallen

ZEIT
Ihr seid Fotografien, die von Verlust handeln. Davon, wie
es ist, gehen zu müssen. Eure Ansichten in Schwarz-Weiß zeigen
Momente des Flüchtigen, die sich in scheinbar Unscheinbarem vermitteln.
Was bleibt nach dem Ende? Ein Knäuel Haare aus dem Abfluss einer Badewanne.

RAUM
Landschaften sind äußere Räume, die umschlagen
können in Bewusstseinsräume. In Augenblicken von Traurigkeit ist es gerade
die Schönheit des leeren Raumes, der die ehemals fest umrissenen Grenzen eines
vergänglichen Ichs zu transzendieren vermag. Das bedeutet nicht, dass der Raum
tatsächlich leer ist. Vielmehr ist er Spiegel des Ephemeren, was sich in der
Oberflächentiefe von Gewässer, in der Konturlosigkeit des Himmels offenbart.
Es sind solche Momente, in denen Gewissheiten von Raum und Zeit infrage gestellt werden.

ICH
Du weißt: Blau ist die Farbe der Sehnsucht. Blau steht für Konzepte der Ferne und Freiheit.
In der Metaphysik der Romantik bezeichnete die blaue Blume die Suche nach der Erkenntnis
des Selbst, aber auch den Versuch, das Unbegreifliche des menschlichen Lebens dingfest
zu machen. Dingfestigkeit aber ist in den Cyanotypien, die du betrachtest, nicht zu ermitteln.
Unfassbares schon. Auf den ehemals lichtempfindlichen Papieren machst du die Umrisse
geisterhafter Gestalten aus, Schatten gleich, die sich im Moment ihrer Belichtung bereits
wieder aufzulösen scheinen.
Du stellst dir vor, dass die Cyanotypien im gleißenden Licht des Sommers entstanden sind -
eines unwirklichen Sommers, der im kalkulierten Kontrollverlust der Chemigramme eingeschrieben ist.

POESIE DER FOTOGRAFIE
Was haben Lyrik und Fotografie gemeinsam?
Kann es fotografische Gedichte geben?
Du sagst ja. Denn Lyrik ist bildhafte Sprache. Die Fotografie wiederum
nutzt den Effekt scheinbarer Realitätstreue, um Wirklichkeit zu schaffen und
Beziehungen zu stiften. Motive der Lyrik, die als Repräsentation von Zuständen
in der Fotografie transportiert werden, bilden eine hybride Erzählstruktur,
deren disparate Zeitlichkeiten Elemente einer vielschichtigen, expressiven
Realität darstellen. Einer Realität, die stets von Neuem geschaffen und die immer wieder
ergründet werden muss.

Von Laura Niederhoff

Ausstellungsansichten aus dem Folkwang Museum in Essen | Fotobuch

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Der Puls des Meeres

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Von Linien der Natur